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Der Kaufmann von Venedig

  • Autorenbild: Katharina Herrmann
    Katharina Herrmann
  • 2. Juni 2017
  • 3 Min. Lesezeit

Solange die dicke Frau noch singt, ist die Oper nicht zu Ende…

Wenn ich an diese Kunstform denke, habe ich direkt ältere konservative Herrschaften in Abendkleid und Smoking im Sinn, welche mit ihren Operngläsern durch das Theater schreiten.

Ich denke an überhebliche, imposante Kulissen; an gut singende Menschen welche einen mit überschwänglichen Gesten, bedeutungsschwangeren, nicht zu verstehenden Texten und übertriebener Sangeskunst einen in den Schlaf singen.

Höchste Zeit für mich herauszufinden, was Vorurteile sind und was der Realität einspricht.

Somit hatte nicht nur „Der Kaufmann von Venedig“ Premiere am Bielefelder Stadttheater sondern auch ich. Für meine erste Oper wollte ich mich komplett auf das Neue einlassen, ohne Vorurteile das Unbekannte erleben.

Ich mag es etwas früher im Theater zu sein, durch die Gänge zu wandern und das Gefühl des Besonderen durch meine Adern fließen zu lassen. Auch an diesem Abend war ich früher am Veranstaltungsort, um die Atmosphäre auf mich wirken zu lassen. Und direkt musste ich feststellen, dass das Erste Vorurteil stimmte.

Es befanden sich bereits viele ältere Herrschaften im Theater, allesamt in opulenter Abendkleidung und aufwendig frisierten Haaren. Das erste Klischee war also erfüllt. Lag es an dem Umstand, dass es sich um die Premiere handelte oder war dieses der normale Umstand? Diese Frage gilt es noch zu beantworten.

Aber reichen äußere Umstände um alle Klischees und Vorurteile direkt als bestätigt anzusehen? Soweit wollte ich nicht gehen und ließ mich wieder in meine kindliche Vorfreude hineinfallen. Wie oft hat man schon die Möglichkeit über den eigenen Tellerrand zu sehen?

Ich suchte meinen Platz auf und alleine die Stimmung beim Betreten des Schauplatzes unterschied sich von meinen bisherigen Theatererfahrungen. Das Orchester stimmte sich bereits auf das Stück ein und begrüßte die Gäste mit wundervollen leichten Klängen. Ich nahm Platz und ließ die Szenerie auf mich wirken. Mit jedem Ton des Orchesters wuchsen meine Erwartungen und dann öffnete sich der Vorhang.

Von Anfang an befand ich mich in Venedig, ich brauchte nicht lange um ganz in der Handlung zu versinken. Wie auch jedes andere Stück von Shakespeares packt es einen von der ersten bis zur letzten Minute.

Bassanio ist verliebt. Die reiche Erbin Portia hat ihm den Kopf verdreht. Doch leider fehlt Bassanio das Geld um, um seine Angebetete zu werben. Deswegen bittet er den reichen Kaufmann Antonio um Hilfe, welcher sehr gerne der Bote der Liebe wäre. Doch auch Antonio hat das Geld nicht direkt und bittet daher bei dem von ihm verhassten Geldverleiher Shylock um einen Kredit. Shylock ein von Rachegelüsten getriebener Jude geht auf den Deal ein, verlangt als Sicherheit allerdings ein Pfund vom Fleisch des Antonio.

Dieser ist sicher, dass er das Geld schnell zurück zahlen kann und unterschreibt den Vertrag.

Bassanio kann nun um das Herz der Portia kämpfen. Jedem der Bewerber um das Herz der Erbin werden drei Kästchen zur Wahl – aus Gold, Silber und Blei- gestellt. Bassanio wählt richtig und heiratet Portia noch in der selben Nacht.

Doch dann kommt die Schreckensnachricht, Antonio kann das Geld nicht zurückzahlen, und Shylock wetzt bereits die Messer.

Portia verkleidet sich als juristischer Gelehrter und entscheidet zu Gunsten von Shylock. Doch dessen Freude hält nicht lange, bis sie ihm offenbart, dass er das Pfund herausschneiden muss ohne einen Tropfen Blut zu vergießen. Am Ende verliert Shylock alles während Antonio und Bassanio triumphieren.

Ich bin restlos verzaubert. Die großartigen Sänger, die unzähligen Statisten, die farbenfrohe Bühne und die wunderschöne Musik ließen mich von Kopf bis Fuß in das Stück eintauchen.

Das doch sehr antisemitische Stück, welches 1596 zur Unterhaltung beitragen sollte, hat heute einen bitteren Beigeschmack. Allerdings hat es in seiner Bedeutung eine neue Facette hinzubekommen. Rassismus, Vorurteile und Intoleranz zeichnen zur Zeit das Bild unserer Gesellschaft. Fremdenfeindliche Aussagen können öffentlich verbreitet werden und sind einer breiten Masse zugänglich. Wie erfrischend es doch gerade in solchen Zeiten ist, einen Gegenstandpunkt zu liefern und drastisch zu zeigen wohin ein solches Verhalten führen kann. Die Spirale der Gewalt kann durch einzelne unbedachte Worte begonnen werden und eskalieren.

Das Bielefelder Stadttheater führte dieses alte Stück in einer schönen Mischung aus Nostalgie und Moderne auf, zieht die Aussage aus der Vergangenheit in die Gegenwart und macht das Thema fassbar.

Großartige Stimmen verzaubern und lassen die drei Stunden wie ein Wimpernschlag erscheinen.

Ich wurde mitgenommen, gefesselt und mit einem Lächeln zurück gelassen. Euphorisch und nach mehr dürstend war mir in dem Moment als der Vorhang viel klar, dieses war der Anfang einer großen Liebe voller unbändiger Leidenschaft.

Bild: Theater Bielefeld


 
 
 

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